Nach schweren Unfällen – seien es nun Zusammenstöße mit Autos oder Stürze aus größerer Höhe – liegen häufig Wirbelsäulenverletzungen vor.
Erstversorgung
Schon Erstversorgung am Unfallort und Transport entscheiden über das Schicksal der Tiere: Unvorsichtiger Umgang kann das Rückenmark endgültig zerstören. Die Patienten sollten daher auf einer möglichst festen Unterlage (z.B. einem Brett) transportiert werden, ggfs. sogar mit Klebeband oder Pflaster befestigt. Nach der Stabilisierung und vor der ersten neurologischen Untersuchung soll der Betreuer Auskunft geben, ob der Patient am Unfallort noch gestanden hat oder gelaufen ist, ob Lähmungen, Lahmheiten oder Schmerzen vorlagen.
Untersuchung in der Klinik
Durch die vorsichtige Palpation des Tieres kann häufig schon die
Region des speziellen Interesses festgelegt werden. Dann kann es
auch schon auf seiner Unterlage befestigt orientierend geröngt werden. Für die detaillierte Untersuchung wird man es auf einem Untersuchungstisch lagern, um die spezielleren Tests unbeeinträchtigt durch die Fixation durchführen zu können.
Tiere, die noch stehen können, werden zunächst im Stand beurteilt: Gleichgewichtssinn, Stellung der Gliedmaßen, Stellungs- und Haltungsreflexe und das Koordinationsvermögen sind so gut zu ermitteln.
Vor der Untersuchung der Reflexe werden Spontanbewegungen, die Propriozeption und Korrekturreaktionen der vier Gliedmaßen geprüft. Schließlich kann das Tier vorsichtig mit Hilfe der Tischkantenprobe oder vorsichtigen Schubkarre Fahrens überprüft werden. Mit Hilfe der Reflexproben lassen sich festgestellte Defekte bereits sehr gut lokalisieren (Tab. 1).
Lokalisation
Der Ausgang der neurologischen Untersuchung ist das mit Abstand wichtigste Kriterium für die Feststellung der Lokalisation der neurologischen Schädigung und der Prognose. So können die Schädigungen der Wirbelsäule im Röntgenbild sowohl deutlich über- als auch unterschätzt werden. Insbesondere nach Verlust des Muskeltonus kann eine Wirbelsäulenverletzung spontan zur Reposition kommen und unauffällig aussehen, obwohl das Rückenmark vollkommen zerstört ist.
Die Röntgenuntersuchung des identifizierten Defektes sollte stets in zwei Ebenen erfolgen. Bisweilen sind die Überlagerungen so unglücklich, dass die schweren Verletzungen übersehen werden können, wie derselbe Hund im Bild oben auf der dorsoventralen Aufnahme zeigt. In der neurologischen Untersuchung zeigte dieses Tier hochgradige Ausfälle.
Prognose
Passen die neurologischen Ausfälle zur Schwere der radiologisch festgestellten Wirbelsäulenverletzung, ist die Prognose so schlecht, dass eine weitere Therapie sinnlos ist. Hierzu gehören Luxationen und Frakturen mit wesentlicher Dislokation wie auf der nächsten Abbildung. Das Rückenmark ist bei diesen Tieren regelmäßig völlig duchtrennt.
Sind die Schmerzfasern noch nicht durchtrennt, kann jedoch auch eine nennenswerte Dislokation noch erfolgreich therapiert werden, wenn sie stabilisiert werden kann. So geschah es mit einem 2jährigen Schäferhund nach einem Autounfall:
Nach dem Röntgenbild ist die Prognose fraglich, bei aufgehobenem Stehvermögen zeigte das Tier jedoch noch gute Reflexe der Hintergliedmaßen und eine ungestörte Blasen- und Enddarmfunktion. So wurde eine Stabilisierung mittels Fixateur externe vorgenommen:
Therapie
In vielen Fällen genügt eine deutlich weniger traumatisierende Fixation. So war diese Karthäuser-Katze vom Dach gefallen und hatte sich – bei genauem Hinsehen - den letzten Brustwirbel an der kaudalen Endplatte und den dorsalen Wirbelgelenken frakturiert. Sie war nicht mehr stehfähig, zeigte übersteigerte Hintergliedmaßenreflexe, wies aber noch Schmerzreaktionen auf. Die interne Stabilisierung durch zwei gekreuzte Kirschnerdrähte, die wegen der diskreten Ausbruchfragmente unter Röntgenkontrolle möglichst dorsal in die Wirbelkörper platziert wurden, wurde durch die Haltung in einem engen Käfig über 6 Wochen unterstützt.
Die im Wirbelkanal liegenden Knochenfragmente konnten durch vorsichtiges Aufklappen der Wirbelbögen entfernt werden.
Im seitlichen Kontrollröntgenbild kann die kaudale Wirbelendplatte des Brustwirbels noch als linienförmiges Fragment identifiziert werden.
Die Katze erholte sich gut. Nach inzwischen vier Jahren zeigt sie eine vollständig physiologische Funktion von Blase, Enddarm und Hintergliedmaßen. Sie geht sogar wieder mit großem Vergnügen auf ihrem heiß geliebten Dach spazieren.
Es ist aber nicht unbedingt zwingend, jede Wirbelsäulenverletzung operativ zu versorgen, sofern sie einerseits stabil genug ist und andererseits eine ausreichend gute Selbstheilungstendenz hat. So tragen Katzen, die aus größerer Höhe stürzen, häufig eine Kreuzbein- Darmbein-Luxation davon, wenn sie m.o.w. sitzend auf dem Po aufkommen. Sehr oft ist das Becken dabei selbst nicht frakturiert. Es wird allerdings 1-3 cm nach cranial verschoben, das Kreuzbein wirkt dabei wie ein Keil.
Häufig liegen sogar Ausbrüche aus der Facies auricularis des Os sacrum vor (Kreis). Sie stören weder den neurologischen Status noch die Heilung. Voraussetzung für diese Therapie bei 4-6 Wochen absoluter Käfigruhe ist selbstverständlich ein guter neurologischer Status einschließlich der vollen Kontrolle über After und Blase.
© Dr. Staudacher, AniCura Aachen